Manifest #3 – Marian Dörk

DAS DIGITALE
Der Begriff des Postdigitalen wird mit einer Allgegenwärtigkeit digitaler Technologien und ihrer habitualisierten Verwendung verbunden. In Hinblick auf diese umfassende Durchdringung des Digitalen beschäftigt sich postdigitale Kunst mit dem Übergang von einer frühen Euphorie hin zu einem gegenwärtigen Gefühl von Unbehagen. Diese Entwicklung entspricht der allgemeinen Ambivalenz von Technologie. Wir eleben die Ambivalenz von Technologie zum Beispiel wenn es um die Verheißungen und Gefahren von Big Data, Cloud Computing, Machine Learning und ebenso der Datenvisualisierung geht – letzteres ist mein Forschungs- und Lehrgebiet.
Neben dieser scheinbar parallelen Verteufelung und Vergötterung dieser technologischen Entwicklungen, gibt es einen anderen spannenden Gegensatz: den von Alltag & Allmacht. So erleben wir das Digitale einerseis als eine fast harmlose Alltäglichkeit (z.B. bei der Navigation, Kommunikation, Unterhaltung, etc), die sich Schritt für Schritt in unsere Verhaltensweisen eingeschlichen hat. Andererseits und damit einhergehend erleben wir eine unheimliche Allmächtigkeit, insofern als, dass auch Entscheidungsstrukturen und Möglichkeitsräume technologisch geformt werden. Ganz praktisch können das die vorgeschlagenen Routen durch eine Stadt sein, aber auch die politisch hoch angelegte Entscheidungsfindung, die zunehmend auf wissenschaftliche Erkenntnisse setzt und durch deren Aufbereitung.
Um diesen Raum aufgespannt von Euphorie und Skepsis einerseits und von Alltäglichkeit und Allmacht andererseits auszutarieren, sind neue Haltungen und Handlungsweisen erforderlich, welche die Konstruiertheit des Digitalen wieder hervorkehren und die technologischen Konstellationen als kulturelle und somit veränderliche Konstrukte zur Disposition stellen.
Hierfür ist es unbedingt notwendig, Ausdrucksformen ästhetischer aber auch sprachlicher Art zu (er)finden, mit denen wir über die Bedingungen des Menschseins in einer technologisch besonders geprägten Zeit sprechen und spekulieren können. Was heißt es heute Mensch zu sein? Was heißt es morgen?
DIE KUNST
Es ist kein Novum des Postdigitalen, dass Kunst einen Freiraum bietet, in dem gesellschaftliche Tendenzen und Strukturen in experimentellen Modi reflektiert werden. Die technologischen und ökonomischen Entwicklungen der Gegenwart bieten allerdings umfassenden Anlass, dass sie von künstlerischen Experimenten entsprechend flankiert werden. Besonders interessant ist dabei, dass sich die postdigitale Kunst an diesen neuen technischen Verfahren bedient, um diese selbigen zu beleuchten, zu befragen und vielleicht sogar zu bekämpfen.
Dieses Ineinandergreifen vom Digitalen als Gegenstand, Material und Methode impliziert, dass die Kunst immer auch ein Stück weit zum Kollaborateur wird. Folglich rangieren die Experimente zumeist zwischen Affirmation und Ablehnung; zwischen Wegbereitung und Widerstand. So wie die Werte des Digitalen ambivalent sind (wie mit dem euphorisch-skeptischen und alltäglich-allmächtigen Spektrum umrissen), so verortet sich die postdigitale Kunst auch nicht eindeutig. Es scheint als ob Künstlerinnen und Künstler immer irgendwie Doppelagenten sind, was vielleicht eine ganz besondere Wachsamkeit bei der Rezeption erfordert . Die ästethische Erfahrung ist von einer Kontingenz geprägt, welche abschließende Deutungen und Schlussfolgerungen nicht vorwegnimmt.
Nadja Buttendorfs body extensions, also Körpererweiterungen, sind weder eindeutig affirmativ noch vollständig widerständig. Ein sechster Finger oder ein zweites Paar Ohren bedient sich der Potenziale von Replikation und ist dabei sowohl absurd auch amüsant. Mit den von ihr kuratierten Werken, die auf nadjas-nail-art-residency.org gezeigt werden, tragen ebenso einen entwaffnenden Witz zur Schau und demonstrieren die Selbstbemächtigung und Aneignung, die so typisch sind in der postdigitalen Kunst.
Die Kunst von Mario Klingemann, die er als Quasimondo auf Twitter in Form animierter GIFs in einem stetigen Fluss von Work-in-progress Bildern veröffentlicht, ist faszinierend und befremdlich zugleich. Diese Kunst, die er Neurographie tauft, erfordert die Entwicklung und Justierung neuronaler Netze, welche insbesondere Gesichter auf befremdlicher Art verzerren und verschmelzen lassen. Dabei werden die Grenzen dieser auf Trainingsdaten basierter Modelle ästhetisch eindrucksvoll deutlich.
DAS PROJEKT
Ausgehend von kritisch-kollaborativen Praxen in der postidigitalen Kunst kann das Projekt ein Beitrag dazu sein, ästhetische Artikulationsräume zu schaffen, indem neue Haltungen und Handlungsweisen gegenüber Digitalisierung ausprobiert werden können. PKKB hat dahingehend zum Ziel Akteure, Ausdrucksformen und Aktivitäten der postdigitalen Kunst zu erforschen. So wie es diese ästhetischen Praxen demonstrieren, möchten wir klassische Dichotomien der Kunstszene komplizieren, wenn nicht gänzlich überwinden:
(A) KünstlerInnen und Amateure,
(B) Physisch und Digital,
(C) Kunst machen und Kunst sehen
Inspiriert von postdigitaler Kunst und herausgefordert von gesellschaftlicher Dimension von Digitalisierung, möchten wir diese offensichtlich einfachen Gegensätze komplizieren und im Kontext innovativer Bildungs- und Ausstellungsformate erforschen, die Faszination und Unbehagen sowie Alltag und Allmacht des Digitalen in produktiver Kontingenz auffächern.

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